Montag, 13. August 2007

Willkomm und Abschied


Nach einem zwar kurzweiligen aber wetterbedingt verzögerten Flug und einer deshalb unfreiwilligen Übernachtung in Kopenhagen, bin ich am Mittwoch Morgen wohlbehalten in Stuttgart gelandet. Obwohl mir nach einem halben Jahr China der Abschied nicht leicht gefallen ist, ist mein Lächeln auf dem Bild echt. Freude und Dankbarkeit über all das Erlebte, über all die interessanten Begegnungen und verschiedenstfarbigen Bilder in mir blitzen aus meinen Augen. An Schwierigkeiten und Knacknüssen bin ich wieder ein Stück gewachsen, aus sinologischer Sicht bin ich auch ein gutes Stück weiter gekommen. Nicht zuletzt aber war dieses vierte Semester ein unglaublich tolles, erfüllendes, in vielerlei Hinsicht sehr intensiv erlebtes und unvergessliches halbes Jahr für mich.

All meinen Studienfreunden, die sich noch immer in China aufhalten, wünsche ich weiterhin eine tolle Zeit. Denkt bei der nächsten Schale Reis, die ihr in chinesischer Gesellschaft verspeist, doch an mich! :-)

Einer Studienfreundin ganz besonders, die wie ich bereits zurück ist und ohne die dieses halbe Jahr nicht gewesen wäre wie es war, wünsche ich alles Gute beim Sich wieder Eingewöhnen.

Zuletzt aber möchte ich mich bei all meinen treuen Bloglesern ganz herzlich bedanken. Über die vielen positiven Reaktionen habe ich mich stets sehr gefreut; es war immer auch schön zu merken, dass „in der Ferne“ viele Leute an mich gedacht, mich immer wieder gar vermisst haben.

Ob ich meinen Blog hiermit und heute Abend abschliesse, weiss ich noch nicht. Ihr wisst nun ja wie es bei mir um Abschiede steht...


Samstag, 4. August 2007

Lebenszeichen

Wenn man mich heute nach meinen Schlussprüfungen fragt, dann kommt es mir vor, als müsste ich mein Hirn um die Erinnerung an eine schon ewig zurück liegenden Sache bemühen. Direkt nach Abschluss des Semesters bin ich umgezogen. Nicht irgendwo hin, sondern in das Wudaokou Viertel, seit neuerer Zeit charmantes Ausgeh- Einkaufs- Essens- und, das ist das Besondere, Koreanerviertel. Nicht zu vergleichen mit dem ruhigen, alten, behäbig-pekingerischen Wohnquartier in dem ich zuvor gewohnt habe! Hier am Wudaokou pulsiert das Leben auf der Strasse, sprüht Leben aus allen Ritzen, lacht einem das Leben aus ausgelassenen asiatischen Gesichtern entgegen. Das koreanische Flair trägt viel zu diesem Gefühl nach Ausgelassenheit und Grosszügigkeit bei.

Dann war da meine Reise nach Xi'an. Der Besuch der alten Kaiserstadt war sehr interessant. Schon bei der Ankunft hat man gespürt, dass einen da etwas anderes erwartet als in Peking. Die Menschen sind anders in Xi'an. Bei den Essensgewohnheiten lassen sich Unterschiede feststellen. Der grösste Unterschied ist aber wohl, dass sich das ehrwürdig Kaiserliche, das über der Stadt ruht, gehalten hat. Dies im Gegensatz zu Peking. Xi'an hat für mich persönlich aber auch ein weiterer grosser Abschied bedeutet.

Ich weiss, ich komme nicht mehr drumherum, das magische Wort, das ich diese Tage besonders zu verdrängen versuche, doch auszusprechen. Abschied. Noch gut zwei Tage bleiben mir hier in Peking. Dann verlasse ich China. Seit Wochen versuche ich zwar, mich langsam zu lösen von all dem hier, aber es geht nicht. Wie soll ich denn auch, wenn ich noch immer mit alltäglichen Dingen wie Stromausfall in der Wohnung durch unzugängliche, herausgeklinkte Sicherungen und dem Organisieren von Kerzen zu kämpfen habe? Wenn ich noch immer raus gehe zum Essen und damit jedes Mal wieder rein stürze ins Leben, wenn noch immer jeden Tag neue Leute kennen lerne? Wenn ich noch immer am Entdecken bin? Oder: Wenn ich es nicht übers Herz bringe, mich heute wie ausgemacht von meinem Sprachpartner zu verabschieden und stattdessen vereinbare, ihn am Montag, an meinem allerletzten Tag, gerade so wie jeden Montag und wie immer um 13 Uhr mit Heft und Bleistift auf dem Beidacampus im Café Paradiso zu treffen?! Wahrscheinlich werde ich am Dienstag zum Flughafen fahren mit dem Gefühl, eine weitere spannende Reise innerhalb Chinas anzutreten. Natürlich wird es keine weitere spannende Reise innerhalb China werden, aber eine spannende Weiterreise mit „China innerhalb“.


Samstag, 21. Juli 2007

Bambus


Die zwei wichtigsten und anspruchsvollsten Prüfungen, Klassisches Chinesisch und modernes Chinesisch schriftlich, haben wir hinter uns! Die Schlacht ist aber keineswegs schon gewonnen, es geht noch weiter. Versteht mich nicht falsch wenn ich hier von Schlacht und Sieg spreche. Natürlich wird es letztlich nur Gewinner geben, denn was wir in diesem halben Jahr hier alles gelernt haben, hätten wir in unserem gewohnten Umfeld unmöglich so lernen können. Die Prüfungen waren aber durchaus ein Kampf, bereits die intensive Vorbereitungszeit war eine Nervensache. Die Stimmung wird ziemlich angriffig gehalten, es kommt mir vor, als müssten wir gegen einen eisigen Wind ankämpfen, der uns alle droht zu Boden zu werfen und von dem wir nicht einschätzen können, woher er plötzlich kommt. Mentale Stärke ist gefragt, vielleicht sind wir auch gerade dabei zu lernen, uns nach dem Bambus-Prinzip zu verhalten: Sich einerseits nicht niederdrücken lassen, sich aber anderseits auch nicht gegen den Wind zu stemmen. Tut man ersteres, kommt man viel zu langsam oder gar nicht mehr hoch, tut man letzteres, knickt man. Also liegt die Kunst darin, sich mit dem Wind zu biegen, nur so weit und so lange wie unbedingt nötig, um sich danach wieder ganz aufrichten zu können.


Mittwoch, 11. Juli 2007

"病"

Wie eigentümlich bekannt mir das alles vorkommt! Es muss mir fast schon zyklisch erscheinen, so, als gäbe es keinen anderen natürlichen Verlaufsprozess. Ich befinde mich in der letzten Unterrichtswoche. Eine Woche vor Prüfungsbeginn. Und ich bin dabei, etwas ganz Grosses, Wichtiges und Prägendes in gewisser Weise abzuschliessen. Natürlich geht es nur darum, mein viertes Semester abzuschliessen, nichts geht in endgültiger Form zu Ende. Und dennoch, es ist ein grosses Abschiednehmen. Und wie das nun eben so ist bei mir, ich bin nicht, wie man meinen könnte und wie ich es mir wünschen würde, an der Uni in dieser allerletzten Unterrichtswoche. Stattdessen mustere ich in Gedanken versunken die in warmem weiss tadellos gestrichene Zimmerdecke über meinem Bett. Wenn diese Tage am Ende der Stunde ein letztes Mal die von einigen verhassten Anwesenheitslisten durch die Klasse gehen, dann werden die Lehrer dort, wo sonst immer die „Chrysanthemenliebende“ steht, ein „bing“, das Schriftzeichen für krank, ins Kästchen schreiben.

Wie jedes Mal wieder sinniere ich daheim nun über dieses seltsame Werteverhältnis, darüber, wie der Wert einer Unterrichtsstunde mit sich verringernder Anzahl steigt. Trotz meinem Verschmähen alles auch nur annähernd Mathematischen versuche ich mir zu überlegen, ob diese Wertezunahme nun proportional, potential oder differential :-) erfolgt. (Ich komme leider zu keiner Lösung!) Ob sich nun auch noch aufzeigen lässt, wie sehr sich der Wert der Unterrichsstunden dadurch zusätzlich steigert, dass ich nicht dabei sein kann, dies aber möchte? (Und ja, ich bin wohl wirklich krank! ;-))

Wie auch immer, drückt mir die Daumen dass ich morgen wenigstens zur allerletzten Unterrichtsstunde gehen kann. Schon einmal bin ich nachträglich ins Gruppenbild eingefügt worden...


Freitag, 6. Juli 2007

Café Paradiso

Heute habe ich meine erste Abschlussklausur geschrieben. Viertel nach drei nachmittags wurden unsere Prüfungen eingesammelt. Es ist Freitagnachmittag. Wochenende. Noch zu früh um sich auf den Heimweg zu begeben. Also ins Café Paradiso. Mit meinen zwei Kommilitonen betrete ich das Campuscafé im Untergeschoss eines grossen Unigebäudes. Angenehme Kühle weht uns entgegen, gleichzeitig steigt uns der entspannende Geruch von frisch gemahlenem Kaffee in die Nase. Wie immer läuft sanfte Hintergrundmusik; als wir reinkommen ist es tatsächlich die chinesische Liebesbalade, die ich als allererstes chinesisches Lied überhaupt zu singen gelernt habe. In dem überschaubaren Raum dominieren Holz und Brauntöne. Und das Schwarz der Haarschöpfe natürlich. Fast jedes der kleinen, quadratischen Holztischchen ist besetzt. An einigen sitzen Studenten, entweder vor dem Laptop oder umgeben von Bücherstapel. An den meisten Tischen aber sitzen mehrere Studenten, die angeregt diskutierend zu dem unaufdringlich munteren Stimmenenwirrwarr im Café beitragen. Immer wieder löst sich ein Satzfetzen aus dem Geräuschteppich und dringt ins Bewusstsein ein. Dann wieder hört man ganz bewusst hin, entweder aus Neugier oder weil das Gehirn den Reiz nicht aufnehmen kann. Ah, das war ja koreanisch... Dieses Stimmengewirr mag ich hier besonders, jedes Mal wieder wenn ich hier her komme. Wie oft wir schon hier unten waren weiss ich nicht, es lässt sich nicht mehr zählen. Die Gemütlichkeit im Studentencafé ist schon lange dem Heimischen gewichen.
Dann sitzen auch wir da mit unseren Getränken, auch unsere Stimmen gesellen sich zu all den anderen, mischen sich in das Wogen, in das Auf und Ab der Geräuschkulisse.

Bereits gibt es ein paar Gesichter, die ich vermisse, wenn ich in diesen Tagen hier her komme. Das Semester geht zu Ende. Das der koreanischen Studenten ist um, das der Chinesen grösstenteils auch, schräg gegenüber sitzen zwei Studenten in Bachelor-Tracht, ihre Hüte haben sie vor sich auf dem Tisch, so wie wir unseren Kaffee. Bald wird auch unser Studiensemester vorüber sein, drei Wochen noch. Bald werde ich zum letzen Mal so dasitzen wie heute, die Tasse vor mir auf dem Holztischchen, in ein munteres Gespräch verwickelt. Aber es wird weiterhin angeregte Gespräche geben. Und hoffentlich andere Café Paradisos.


Montag, 25. Juni 2007

DAVID JOHANN

Liebe Miriam, lieber Rolf, gerade eben habe ich erfahren dass aus „Lilly Malu“ ein DAVID JOHANN geworden ist, er ist am 24. 06. 07 geboren. Herzliche Gratulation und meine besten Wünsche!

Ist euch glücklichen Eltern auch bewusst, in was für einem tollen Jahr euer Sohn geboren wurde? Das jetzige Jahr 2007 ist nach chinesischer Astrologie ein ganz besonderes: Es steht nicht nur im Tierkreiszeichen des Schweins, sondern dieses trifft mit dem Element Gold zusammen, welches nur alle 60 Jahre wiederkehrt. Da das Schwein wie auch das Gold für Wohlstand und Reichtum stehen, verspricht dieses Jahr besonders Glück und Reichtum verheissend zu werden. Oder genauer gesagt, die in diesem Jahr geborenen haben gute Chancen, zu Reichtum und Ansehen zu gelangen und dabei glücklich zu werden. Der Glaube in diese Prophezeiung geht so weit, dass im Jahr 2006 die Schwangerschaften markant gestiegen sind in der Hoffnung, in diesem Glück verheissenden Jahr zu gebären. Da schreckte nicht einmal das Wissen um den schon bald einsetzenden, krassen Konkurrenzkampf dieses Boomjahrgangs ab...

Wie nun auch immer, ob goldenes Schwein oder nicht, ich wünsche Wohlbefinden und Gesundheit.

Dienstag, 19. Juni 2007

Charming China!

Qingdao ist weit mehr als eine einstige deutsche Kolonie an der Ostküste Chinas, als der Produktionsstandort des weltbekannten Tsingtao Biers, sogar mehr als bedeutende Tiefseehafenstadt. Qingdao ist eine Stadt mit Charme, eine Stadt, in der deutsche Stadtplanung und Bierkultur auf faszinierende Weise auf das südländische Flair von Italien trifft, wo nebst dem traditionellen chinesischen Alltagsleben immer auch ein Hauch moderner Extravaganz à la Shanghai zu spüren ist, wo die zum Meer hin abfallende Pierzone mit den renovierten Häusern im Kolonialstil an Sydney erinnert. Dennoch ist es eine riesige chinesische Stadt, ist das, was ich „das gefühlte China“ nenne, sehr präsent, überzeugt die Synthese so sehr, dass die Stadt vor Charme sprüht. Herausgeputzte Strassen, weil zu baldiger Olympiastadt hergerichtet, finden sich neben offenen Kloakekanälen, Kommerz ist auch hier allgegenwärtig, dennoch erscheint er hier für einmal ganz natürlich.

Aber nicht nur in der Stadt Qingdao scheint internationale Synthese zu funktioniern: Als Gruppe, bestehend aus Deutschen, einer in Deutschland studierenden Chinesin, Koreanern, einem in Japan aufgewachsenen Chinesen und einer.... „Deutsch-Schweizerin“ haben wir gemeinsam grossartige Tage erlebt, zusammen eine so tolle Zeit verbracht, dass wir uns morgen schon wieder sehen müssen...






Zwei Tüten Bier, bitte. Ja, take away... :-)


Warten auf den Fototermin vor der deutschen Kirche




Montag, 4. Juni 2007

Mh!

Wenn ich in zwei Monaten heim komme, werde ich mit neuen Angewohnheiten auffallen: Vielleicht wird man sich wundern, wenn ich abends lieber keine Rohkost mehr essen möchte und den täglichen Reis vermisse. Sicherlich wird man mich nicht verstehen, wenn ich mir bei jedem Essen meine Essstäbchen herbeiwünsche. Wenn ich überall hin meine Wasserflasche mittrage. Wenn ich mich nicht mehr knabenmässig auf den Gepäckträger des Fahrrades schwinge, sondern im hübschen „Frauen-“ oder eben „Chinesen-“ sitz... Ah, nein, geht ja gar nicht, das ist bei uns ja sowieso verboten...

Nun sind das aber alles Dinge, die nur denen auffallen werden, die im Alltag um mich herum sind. Es gibt aber etwas, was allen auffallen wird; oder all denen, die sich mit mir unterhalten werden: Ich werde anders reden! Ich werde mich zwar nicht AUF chinesisch unterhalten, mich aber chinesisch unterhalten. Was das bedeutet? Ich werde viel weniger kurze Fragewörter wie „echt?“ „wie das?“ „wirklich?!“ verwenden, werde auch nicht mehr „aha“ sagen wenn ich etwas verstanden habe und auch kein zustimmendes „genau“ oder „ja“ mehr verlauten lassen. Viel mehr werde ich diese kurzen Wörter durch für „Daheimgebliebene“ möglicherweise etwas unfreundlich oder desinteressiert klingende Laute ersetzen. Ich werde mit einem fragenden „mh?“ oder „oh?“ meiner Verwunderung Ausdruck verleihen und werde mit einem freundlichen „mh!“ zustimmen. Als milden Ausruf wird man vielleicht ein „ai“ zu hören bekommen. Wenn ich meinen Gegenüber nach Rückfrage verstanden habe werde ich vielleicht ein engagiertes „ah, ah, ah“ von mir geben. Kurz gesagt, meine Gegenüber werden sich anfangs auf viele „mh“ und „ah's“ gefasst machen müssen. Und ich mich wohl auf einige „Christine, drück dich doch mal klar aus ... ich verstehe dich nicht mehr...“ :-)

Ich jedoch verstehe jetzt, wo mir mit einem Mal bewusst geworden ist, wie sehr ich diese chinesische Unterhaltungsart selber angenommen habe, die Chinesen viel besser. Nun weiss ich auch dass ich ein „mh!“ meines Lehrers, wenn ich einen Abschnitt zu Ende gelesen habe, keinesfalls mit einem Anflug von Enttäuschung zur Kenntnis nehmen muss, dass es auch nicht als desinteressiertes Brummen zu deuten ist, sondern im Gegenteil einem lobenden „nicht schlecht“ entspricht. Und wenn wir gerade dabei sind: „Nicht schlecht“ ist in China die nächstbessere Stufe nach „gut“. Mh?... Fast wie im Oberaargau, eigentlich...


Sonntag, 20. Mai 2007

Halbzeit und noch kein Bisschen langweilig – im Sommerpalast

Der Sommerpalast oder Yiheyuan ist nicht nur eine der schönsten Parkanlagen Pekings, sondern wohl eine der berühmtesten Chinas überhaupt. Es ist eine (zu dieser Jahreszeit besonders prächige) klassisch chinesische Parkanlage.





Für mich fast unvorstellbar faszinierend: Das ganze Gelände, sogar der Kunmingsee wie auch der Berg der Langlebigkeit, wurden künstlich angelegt!



Seit 1998 gehört der wunderschöne Park zu den UNESCO Weltkulturerbe. Er wurde aufgenommen als "outstanding expression of the creative art of Chinese landscape garden design, incorporating the works of humankind and nature in a harmonious whole." Dem kann ich nur zustimmen, der Park ist grossartig!


Am Samstag Mittag wurden wir Zeugen eines seltenen Naturphänomens: Um die Sonne hatte es einen Kreis.

Im wunderschönen Pagodenwald beim Tanzhe-Tempel in Peking.

Jipeeee, jetzt werde ich reich...

Halbzeit und noch kein Bisschen langweilig - im Konzert

Meint nur nicht, mir sei der Gesprächsstoff ausgegangen jetzt in der Halbzeit meines Aufenthalts. Dies wäre weit gefehlt! Viel eher frage ich mich nämlich, wo die Zeit geblieben ist. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass ich auch nach drei Monaten vieles noch nicht gesehen habe, obwohl ich nun wirklich ständig unterwegs bin. Doch ich freue mich auch darüber. Die nächsten drei Monate drohen also nicht langweilig zu werden...

In letzter Zeit habe ich ein paar Konzerte besucht, hier auf dem Universitätscampus der Beida. Das Angebot ist gross und bisher hatte ich sogar das Glück, von Mitwirkenden Studenten direkt Freitickets zu bekommen. Die Darbietungen waren sehr unterschiedlich, meist Gemeinschaftskonzerte, von grandios bis zu fast peinlich. Wie toll die Darbietung auch war, jedes Mal bin ich mit gemischten Gefühlen hinausgegangen. Wegen der Atmosphäre und Inszenierung des Konzertes an sich. Die westlichen Konzertkonventionen scheinen bei den Elitestudenten so gut wie noch nicht angekommen zu sein. Hier kommt man primär zum Konzert, um sich zu entspannen. Dies zeigt sich darin, dass viele Studenten mit Augenbinden schlafend in den Sesseln hängen oder auch lesen. Die meisten aber finden im Konzertsaal die optimale Musse, sich ausgiebig der Korrespondenz zu widmen. Jeder hat sein Handy im Schoss liegen und wartet gespannt auf die nächste SMS. Das würde aber alles noch gehen. Auch dass Leute oft rein und raus gehen während des Konzertes oder dass die Studentenschaft geizig umgeht mit Applaus darf mich nicht stören. Was mich aber jedes Mal völlig aus der Bahn geworfen hat ist, wie das Publikum es jeweils geschafft hat, kaum war der letzte Takt des letzten Programmpunktes verklungen, fast fluchtartig den Konzertsaal zu verlassen. So liessen sie auch den amerikanischen Strahlechor, der zuvor noch durch das gesunde Selbstbewusstsein seiner Mitwirkenden überzeugt hatte, mit langen, verdatterten Gesichtern dastehen. Ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten, aber da kann man sich urplötzlich traurig und entwurzelt fühlen, fast ist man wütend auf die Massen, die einem das ganze Konzerterlebnis zunichte gemacht haben. Und man wird beim Hinausgehen das Gefühl nicht los, eine CD hätte es unter solchen Umständen auch getan.
Ich mag den Überlegenheits-Touch nicht, der einer solchen Wertung anhaftet. Dennoch, ich kann nicht umhin es zu sagen: Da müssen sie noch viel lernen!

Sonntag, 6. Mai 2007

Überwältigende chinesische Gastfreundschaft

Es mag mitunter schwierig sein für uns, mit Chinesen Kontakte zu knüpfen. Hat man aber einmal Freundschaft geschlossen, dann beschränkt sich diese Beziehung nicht auf zwei Leute, sondern schliesst die Verwandtschaft mit ein. So kann es kommen, dass man für einen ganzen Tag eingeladen wird, wo einem dann in aller Sorgfalt und Herzlichkeit die Wohnung und das Wohnquartier vorgeführt und die Familienmitglieder vorgestellt werden. Man wird bekocht, umsorgt und verwöhnt. Meine liebe „Tante“ hat sich gestern sogar Zeit genommen, mit meiner chinesischen Freundin und mir den Yonghegong, den grössten Lamatempel Pekings, zu besichtigen. Und natürlich bin ich mit einer ganzen Tüte chinesischer Naschereien und mit der ernst gemeinten Aufforderung, ich solle wieder kommen, zurückgekehrt.


Noch etwas hat mich beeindruckt: Ich habe mich auch ein wenig mit der 94 Jahre alten, erstaunlich fitten Taitai aus Hangzhou unterhalten. Als wir drei nach dem Essen gehen wollten und ich mich von der Grossmutter verabschiedete, da sagte die Frau zum Erstaunen aller zu mir: „Have a nice day, goodbye!“ Meiner Tante und meiner Freundin sind fast die Kinnladen runtergefallen, die alte Frau aber hat nur versonnen geblinzelt und zu verstehen gegeben, dies hätte sie damals beim Arbeiten in der Seidefabrik gelernt... Dann hat sie ein leises aber unüberhörbares „I don't know, I can't speak English“ gemurmelt und die Augen geschlossen...


Ist sie nicht süss, die Kleine...

Im Wutaishan-Gebirge

Nachdem wir genug Kohlestaub und Chemikalien eingeatmet hatten, gelangten Matthias, Jona und ich am Dienstag Morgen nach recht abenteuerlicher Fahrt beim Wutaishan an. Der Wutaishan-Gebirgszug ist der wichtigste der vier heiligen Gebirge des chinesischen Buddhismus. Drei Tage lang erholten wir uns bei kalter, frischer Bergluft und beim feierlichen Duft von Räucherstäbchen. Es war in gewisser Weise wieder eine andere Welt, in die wir eintauchten...




Es waren drei wunderbare, sehr harmonische Tage, geprägt von freudigem Touristengeplapper im Tal und feirerlicher, klösterlicher Stille in den Bergen. Den höchsten Gipfel des Gebirges, den 3058m hohe Beitaishan, der auch höchster Gipfel in Nordostchina ist, haben wir am Mittwoch erklommen. Uns hat sich eine phantastische Landschaft offenbart. Die Freundlichkeit der Mönche in den abgelegenen Monasterien hat auch beeindruckt. Unsere Wanderung durch die einsame, teils unwegsame Gegend war aber vor allem auch Einsseins mit sich, mit der Umgebung und den Mitmenschen. In eisigen Höhen, wo einem der Wind ins gerötete Gesicht peitschte und der Schnee unter den Schuhen knirschte, traten wir, nachdem uns ein Mönch wortlos die schwere Pforte zur Hauptaltarshalle geöffnet hatte, in die Halle ein, den kalten, angenehm-abgestandenen Geruch der Räucherstäbchen in der Nase, vor Kälte zitternd und mit vor Erschöpfung und Glückstaumel leuchtenden Augen.



Den Abstieg schafften wir gerade noch vor dem Schneefall und bevor es im Tal richtig zu regnen begann. Müde und glücklich lagen wir abends in unseren Betten. Und mir wurde bewusst, dass ich wieder etwas Wesentliches, ein heiliges Gebirge des chinesischen Buddhismus, erlebt hatte.

Das andere oder das echte China?! Exkursion nach Datong


Ein Drittel der Kohle, die in China abgebaut wird, stammt aus der westlich von Peking gelegenen Provinz Shanxi. Die Industriestadt Datong ist die zweitgrösste Stadt in Shanxi und gehört laut Reiseführern zu den am stärksten verschmutzten Städten Chinas. Die Umweltverschmutzung beschränkt sich aber selbstverständlich nicht auf die Stadt. Noch nie zuvor war ich durch eine Gegend gekommen, die so stark verschmutzt ist, hatte noch nie so krass sichtbare Umweltsünden gesehen. Man fährt durch weite, kargen Ebenen, die vom Kohlestaub ganz schwarz sind, oder man trifft in der Nähe von Fabriken auf giftig weisse Felder. Wasserläufe sind schwarz-schillernde, zähe Brühen, die sich träge durch die verseuchte Landschaft quälen. Dazwischen vereinzelte Menschen, die zur Aufforstung des trockenen Landes Bäume pflanzen. Um die vermüllten, trostlos wirkenden Wohnsiedlungen bewirtschaften zerschundene Bauern die staubige, unvegetative Lösserde mit Mauleseln.

Die Touristenattraktionen, die wir während unserer organisierten Tour sehen konnten, waren dafür um so prächtiger. Noch am Samstag konnten wir die Yungang-Grotten, 2001 in die Liste der UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen, bewundern. Die Anlage besteht aus 42 Grotten und weiteren 210 Nischen mit insgesamt über 51.000 Buddhastatuen, die in den dort üblichen Sandstein gearbeitet wurden.

Am Sonntag besichtigten wir das Hängende Kloster und die Holzpagode von Yingxian. Das Hängende Kloster hat mich beim ersten Anblick in seinen Bann gezogen und hat sich sogleich zu einem der faszinierendsten und beeindruckendsten Bauwerken etabliert, die ich hier in China bisher gesehen habe. Das Kloster wurde im 6. Jahrhundert entlang den Konturen einer Felswand ganz aus Holz erbaut. Es besteht aus etwa 40 kleinen Hallen und Pavillons, die auf Holzträgern ruhen und die durch Gänge, Brücken und Gehsteige miteinander verbunden sind. Die traditionelle chinesischen Architektur, die ich so mag, scheint hier wirklich zu schweben, die Felswand aber, in deren Nischen die Buddhastatuen stehen, verleihen der Leichtigkeit des Konstruktes einen wohlbalancierten, erhabenen Rückhalt.



Am Montag stand die Besichtigung einer Kohlemine auf dem Programm. Es war eine der wohl modernsten Minen überhaupt, ein Vorzeigebetrieb. Obwohl mir bewusst ist, dass es unmöglich gewesen wäre beim Kohleabbau zuzusehen, wurde ich das Gefühl nicht los, lediglich einen sichtbaren Beweis dafür erhalten zu haben, dass es dort unten im Schacht auch wirklich Kohle gibt. Weshalb wir uns dafür einkleiden mussten, als gingen wir auf Mars-Expedition, ist mir noch immer unklar.


An dieser Stelle möchte ich auf den interessanten Eintrag von Matthias aufmerksam machen:

http://beijing07.wordpress.com/

Freitag, 27. April 2007

Wir haben's schon gut: Morgen begeben wir uns auf unsere zweite, vom ECCS organisierte Exkursion. Diesmals gehts nach Datong, wo wir eine berühmte Grotte, einen Tempel und die Kohleminen besichtigen werden.
Nächste Woche ist Erste-Mai-Woche, da ist in China dann die Hölle los. Ganz China hat frei, da der Internationale Tag der Arbeit - wie es sich gut kommunistisch gehört - gemeinsam gefeiert wird. Ich hoffe, in der "Viererbande" mit meinen Jungs dem Rummel etwas entfliehen zu können, wir gehen ins buddhistische Wutaishan Gebirge wandern.
Euch allen wünsche ich für die kommende Woche alles Gute!


Frühling...

Für alle die, die mich gebeten haben, ein Bild von meinem 5€-Fahrrad zu veröffentlichen. Da ist es nun...das vordere, natürlich... Es ist jeden Tag fest in Gebrauch, ohne geht nix mehr :-)

Der Eingang zum Hof unserer philosophischen Fakultät

Im Zhexuexi

Es grünt so grün...

Samstag, 21. April 2007

Frühlingsfahrt durch Peking

Es ist Frühling geworden in Peking! Wunderbar! Innerhalb der letzten wenigen Tagen hat alles zu spriessen und blühen begonnen, das Gras ist grün geworden, die Bäume tragen frische Blättchen und es ist schon fast sommerlich warm, sogar abends. Die Luft ist noch immer sehr trocken und windig, Peking erscheint mir noch staubiger als sonst. Nichtsdestotrotz macht die wärmende Frühlingssonne gute Laune, fast scheint es mir, als würden auch die reservierten, beherrschten Pekinger so langsam aus ihrer Winterstarre erwachen.

Zum Frühling in Peking gehört natürlich mein Fahrrad. Ich hatte mir seit ich hergekommen bin vorgenommen, erst im Frühling ein Fahrrad zu kaufen. Viele haben mit totalem Unverständnis darauf reagiert, ich aber finds klasse! 5€ hat das rostbraune Ding gekostet, mit einem grossen, knallroten Fahrradschloss. Natürlich lässt sich der Lenker nur sehr grobmotorisch bedienen und nach einer halben Stunde Fahrt läuft man auch wieder ganz gerne ein Stück. Aber was will man mehr für 5€? Es tut seinen Zweck wie fast alles hier, auch wenn es nicht unseren Ästhetik und Komfort-Ansprüchen entspricht.

Peking hat seinen Ruf als „Königreich der Fahrräder“ schon seit einigen Jahren eingebüsst. Das Verkehrschaos ist mittlerweile zu gross, heute haben die motorisierten Fahrzeuge das Sagen. Dennoch: Wo sonst findet man an jeder grösseren Strasse Fahrradstreifen, die so breit sind wie bei uns zwei Autospuren?

Bei meiner allerersten Fahrt durch Peking habe ich dann doch etwas gespürt vom verblassten Ruf. Es war ein Uhr nachts und ich bin kreuzvergnügt durch die gewaltig breiten, leeren Strassen gegondelt, habe zum ersten Mal gemerkt wie uneben die Strassen sind und mich wieder einmal gewundert wie es möglich ist, dass eine so grosse Stadt nachts so ruhig und menschenleer sein kann. Die Perspektive wird plötzlich eine völlig andere auf dem Fahrrad, das ist interessant.

Am nächsten Tag musste ich mein Fahrrad dann erst mal in Revision geben. Meine nächtliche, exzessive Nutzung waren ihm nicht gut bekommen, es hatte eine Platte, die Bremsen hatten noch gar nie funktioniert und auch sonst musste einiges gerichtet werden. Die Revision hat genau 1€ gekostet... Schon witzig: Wenn man einkaufen geht, dann recken alle Chinesinnen die Köpfe und schauen ganz unverhohlen, was eine Westlerin alles im Einkaufskorb hat. Kommt man als Westlerin auf einem „normalen“ (Krüppel-)Fahrrad dahergegurkt, dann müssen alle Chinesen plötzlich ganz genau schauen, wie sich eine Ausländerin durch das Chaos von Autos, Fahrrädern und Passanten schlängelt. So frage ich mich, ob Fahrrad fahren hier mehr ist als das Überwinden einer geografischen Distanz. Vielleicht beginnt der Flirt hier schon beim Fahrrad fahren. Vielleicht ist auch einfach Frühling...

Dienstag, 17. April 2007

Chengde...

Von Freitag bis Sonntag waren wir als über 80-köpfige Reisegruppe, bestehend aus „uns Tübingern“, Würzburgern und samt unseren chinesischen Lehrern, auf Exkursion. Es war ein chinesisches Programm, sprich, wir wurden von einer Attraktion zur nächsten gebracht und von der Reiseleiterin zugeplappert. Unser erstes Reiseziel war der am besten erhaltene Teil der Grossen Mauer, von Peking aus etwas über 2h Fahrt in nördlicher Richtung gelegen.

Nach ein paar Schritten auf der Mauer fuhren wir nach Chengde und bezogen dort unser Hotel. Chengde habe ich schon beim Einfahren in die Stadt als sehr hässlich und ungemütlich empfunden. Man versucht zwar, sich als angenehme Touristenstadt zu etablieren. Seltsamerweise habe ich alle Anstrengungen, die bis anhin dafür unternommen worden sind, als blosses Aufbauen einer Fassade verstanden, die die sichtbare Armut und der sorglose Umgang mit den gegebenen Ressourcen nicht zu überdecken vermag. Als blosser Irrwitz erscheint es, wie nagelneue, staatliche Prunkgebäude neben Feldern stehen können, auf denen die Kloake vor sich hin dümpelt.

Die Gegensätze, die dort in einem fort mit grosser Wucht aufeinander prallen, sind wirklich krass. Und sie machten es mir äusserst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die tollen Klöster und Orte, die wir besucht haben, zu geniessen. Was nützt mir eine eindrückliche Klosteranlage, wenn ich anstatt auf eine tolle Landschaft auf Fabrikschlote blicke? Wie kann ich mich für das örtliche Glasbläserhandwerk begeistern, wenn ich die bereits zusammengeschundenen Jugendlichen, die dort im Akkord Glas blasen, sehe? Wie kann ich mich da mit gutem Gewissen zum Abendessen in das teuerste Lokal der Stadt setzen und mich bedienen lassen, als wäre ich etwas Besseres? Ich musste realisieren, dass ich bis anhin nur das schöne, reiche, entwickelte China gesehen hatte. Zum ersten Mal vielleicht habe ich etwas vom Entwicklungsland China gespürt.

Dann habe ich noch etwas Seltsames erlebt: Je mehr wir uns am Sonntagabend dem Stadtteil Pekings, der mir vertraut ist, genähert haben, desto mehr hat mich ein sonderbares Gefühl von Erleichterung überkommen. Und ganz leise hat da sogar etwas von Heim kommen mitgeschwingt.


Donnerstag, 12. April 2007

Christine in Shanghai



Wenn ich hier erzählen wollte, wie wir am Donnerstag Abend mit dem Nachtzug nach Shanghai gefahren sind, wie eindrücklich unsere Tempelbesuche waren, wie spannend die Museen und Gärten, wie atemberaubend die Bootsrundfahrt mit Blick auf die moderne Skyline, wie chic wir uns vorgekommen sind beim Schlürfen der Drinks im 87. Stockwerk des höchsten Hotels, wie berauschend das Handeln und Shoppen waren, wie toll die Fahrt mit der Magnetschwebebahn und der Flug Montagnacht zurück nach Peking; wenn ich von dem allem erzählen wollte, würde ich nicht mehr fertig werden! Von unserem Abstecher nach Hangzhou am Ostersonntag ganz zu schweigen. Bleiben wir also bei Shanghai. Und bei meiner Begeisterung für die Stadt! Shanghai ist grosse Klasse! Shanghai hat etwas von „meinem“ China, das ich in Peking manchmal noch immer vermisse. Die Stadt hat etwas sehr Südländisches, ist lebendig und quirlig, laut, bunt, selbstbewusst und modern. Vor allem Abends, so, als wäre das lebendige Treiben tagsüber nur ein Vorgeschmack auf das was kommen würde gewesen, scheint das Leben erst richtig zu pulsieren zu beginnen. Überall reizen Leuchtreklamen, glitzern Lichter, laufen Fernseher. Von überall her ertönt Musik, einige tanzen dazu. Schöne Männer tragen selbstbewusst ihre sorgfältig gestylte Haarpracht zur Schau, die Abendgarderoben der Chinesinnen blinken und glitzern wie die Werbepaneels am Bund des Huangpu.
Aber auch in Shanghai trifft man auf die interessanten Gegensätze jeder chinesischen Stadt, überall flattert Wäsche zum Trocknen, ausgeflippte Wolkenkratzer reihen sich an Hochhäuser und diese sich an ehrwürdige Häuser im europäischen Kolonialstil aus den 30ern.

Und dann sind da die heruntergekommenen Altstadtteile, die bangend in das Dunkel der Nacht hinein warten und fernab von jeglichem Grossstadthype nur die eine Hoffnung kennen, die Hoffnung, am nächsten Tag nicht einem ehrgeizigen Bauprojekt für einen noch neueren, noch chiceren, noch moderneren und noch teureren Wolkenkratzer zum Opfer zu fallen. Das alles und noch viel mehr ist Shanghai. Vielfältig, aufregend, anstrengend und beeindruckend. Kurz bevor wir zum Flughafen gefahren sind bin ich für kurze Zeit da gestanden, habe meine aufladbare U-Bahn Karte in den Händen hin und her gewendet und habe mit dem Gedanke gespielt, sie trotz Kaution und obwohl ich nicht weiss, wann ich das nächste Mal in Shanghai sein werde, nicht zurück zu geben. „Wie unbeschreiblich toll wäre es“ dachte ich kurz, „die Karte bei meinem nächsten Aufenthalt in Shanghai wie selbstverständlich aus dem Geldbeutel zu fischen und, als täte ich diese Bewegung jeden Tag mehrere Male, sie lässig über das Kontaktfeld zu ziehen...“ Dann habe ich die Karte doch zurück gegeben. Macht ja nichts. Christine war in Shanghai!

Christine in Shanghai. Wer weiss, vielleicht werde ich in näherer Zukunft bald einen Blog eröffnen unter diesem Titel...

Montag, 2. April 2007

798 - Pure Begeisterung!

Die Chinesische Gegenwartskunst hat mich schon vor Beginn meines Sinologiestudiums in ihren Bann gezogen. Seither begleitet, beschäftigt und begeistert sie mich, habe ich einige Ausstellungen besucht, einige Bücher und Artikel gelesen, schon unzählige Ausstellungskataloge durchgeblättert und das Internet durchforstet. Dieses Wochenende war ich im Künstlerviertel Pekings, dort, wo diese Kunst entsteht, an ihrer Produktionsstätte gewissermassen. Produktionsstätte deshalb, weil das Areal mit dem Name 798 ein heruntergekommenes, schon lange stillgelegtes Fabrikgelände aus den 1950er Jahren ist. Hier verschmelzen in fast unwirklicher Weise die unästhetische Fabrikumgebung mit ihren rohen, ungetünchten Backsteinwänden, rostigen Rohren und Leitungen, ausgedienten Maschinen und Produktionshallen mit den kleinen, hergerichteten Galerien und Studios der Künstler, mit den präsentierten Werken. In den riesengrossen Fabrikhallen flirten die übergrossen Schriftzeichen der noch immer sichtbaren, mit roter Farbe an die Wand gemalten kulturrevolutionären Sprüche mit den Schriftzügen auf den neuesten Kunstwerken der Maler, diese wiederum mit den Zeichen auf den Informationsschildern für uns Besucher. Da stehen die Künstler, schneiden grossformatige Leinwände zu, hängen fertige Bilder Probe. Das Ambiente ist unglaublich, die visuellen Reize und deren Wirkung auf den Besucher fast unerträglich beeindruckend. Plötzlich scheint alles Kunst zu sein auf dem Areal, die heruntergekommenen Steinbauten gleichermassen wie die Kunstwerke, die Beschriftungen aus dem kulturrevolutionären Fabrikbetrieb wie auch die herumstehenden Plastiken, selbst die achtlos weggeworfene Zigarettenschachtel mit dem widersprüchlichen roten Schriftzeichen für ein langes Leben scheint nicht zufällig auf dem Boden zu liegen. Unbeschreiblich, so etwas habe ich noch nie erlebt!
Um in die Studios der Künstler zu gelangen muss man teils durch dunkle, tunnelartige Gänge gehen oder enge Treppen steigen. Dann steht man ganz in Gedanken versunken vor den Bildern, versucht zu verstehen was der Künstler einem mitteilen möchte, versucht Herr zu werden über all die Fragen, die einem gleichzeitig durch den Kopf schiessen. Plötzlich wird man vom Künstler persönlich freundlich angesprochen, endlich hätte man die Gelegenheit, diesen Menschen etwas zu fragen. Und dann erzählt man doch nur in höflichem Chinesisch wo man herkommt, was man hier tut und versichert dass man begeistert sei.
Gleichzeitig aber meint man zu sagen, dass man gerade etwas von unglaublich grosser Bedeutung erlebt, dass gerade ein wesentliches Puzzleteil mehr dabei ist, sich in ein grosses Ganzes einzufügen, dass man zwar noch nicht wisse was für ein Peking-Sujet das Puzzle ergeben wird, man aber das Gefühl habe gerade eben wieder ein Stück weiter gekommen zu sein. Und wer weiss, vielleicht sagt man es ja auch, in gewisser Weise.

Montag, 26. März 2007

In Peking angelangt...



Der Tian'anmen Platz ist der weltweit grösste Platz. Er soll drei Mal so gross sein wie der Rote Platz in Moskau und einer Million Menschen Platz bieten. Als Sinolgin darf ich behaupten, dass er der geschichtsträchtigste Platz überhaupt ist. Er liegt exakt im Zentrum Pekings – aus diesem Grund ist man nach meinem Empfinden erst richtig in Peking angelangt wenn man auf diesem Platz gestanden hat. Umgrenzt wird der Platz unter anderem an der Nordseite von der „Verbotene Stadt“, im Süden vom „Mao“soleum und seitlich von der Grossen Halle des Volkes und vom Nationaltheater.

Der Platz ist beeindruckend, seltsamerweise hätte ich ihn mir aber grösser vorgestellt. Interessanter als der Tian'anmen Platz selbst sind denn auch die Menschen die man dort antrifft und beobachen kann. Erstaunlicherweise trifft man nur vereinzelt auf Ausländer, sieht jedoch viele Chinesen, die extra angereist sind um sich ablichten zu lassen mit dem Portrait des grossen Vorsitzenden im Hintergrund. Strassenhändler bieten Mao-Uhren, Nachdrucke des „Roten Büchleins“ und kleine China-Flaggen an. Von den Menschenmassen geht eine sonderbare Mischung von patriotischer Ehrfurcht und alltäglicher Geschäftstüchtigkeit, von fotografischem Ernst oder Übermut, von normalem, chaotischem, pulsierendem Leben und kurzzeitig bedächtigem Abschweifen mit den Gedanken aus. Die Atmosphäre ist speziell und auch zu fremd als dass ich das, was sie irgendwo ungreifbar macht, beim Wort nennen könnte. So ist es auch mit der Stadt. Ich bin nun zwar in Peking angelangt, ich befinde mich nicht mehr einfach in irgendeiner chinesischen Stadt. Aber auch wenn ich gestern genau im Zentrum der Stadt war, wo das Herzen Pekings liegt weiss ich nicht.